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In einem Stück kommen Textfragmente und Musikzitate aus allen vergangenen Goethes Erben CD's vor, die so in das Konzept von "Schach ist nicht das Leben" integriert werden. überhaupt klingt das Album stellenweise wie die Quintessenz aus allen Veröffentlichungen und ist doch gleichzeitig von einer Selbstkopie sehr weit entfernt.

O.H.: Goethes Erben ist nun mal eine Welt für sich. Ganz bewußt haben wir Zitate aus der Vergangenheit bei "Nur ein Freund" verwendet, weil ja auch das ältere Material ein Teil dieser Idee ist. Es gibt sicher verschiedene Gruppen, die das anders sehen, die sich immer wieder von ihrer Vergangenheit distanzieren, weil sie meinen, sie fahren damit besser. Wir würden in der Presse sicher besser dastehen, wenn wir unsere ersten Stücke als Schrott bezeichnen würden. Das tun wir aber nicht, wir stehen allumfassend zu dem, was wir gemacht haben.

Schrott würde auch niemand wiederveröffentlichen. Die CD "Erstes Kapitel", die Wiederveröffentlichung der ersten beiden Tapes, geht zumindest bei den Konzerten weg wie die berühmten warmen Semmeln. Was gäbe es daran zu kritisieren ?

O.H.: Goethes Erben bietet eine breite Angriffsfkäche - wegen der Sprache, wegen der damals naiv wirkenden Arrangements ... . Ich glaube, diejenigen, die immer noch über Goethes Erben schimpfen, haben von uns schon lang nichts mehr gehört. Wir sind musikalisch und thematisch vielseitiger. Wir haben Erfahrungen verarbeitet und unser Denken ist vielschichtiger geworden, im Gegensatz zu dem Denken der Presse, was anscheinend immer einseitig verläuft. Ich finde, daß die Leute von der Presse, vor allem die von den kleineren Magazinen über alle Maßen intollerant sein können. Man versucht eine subjektive Meinung bezüglich einer bestimmten Gruppe weiterzugeben, auch in Artikeln, die mit dem Stein des Anstoßes überhaupt nichts zu tun haben. Das ist kein Journalismus, sondern Befriedigung des eigenen Egos ...

Aber die schreibende Zunft bewirkt doch auch etwas, wenn sie gut ist. Ist sie nicht unter anderem ein Wegweiser durch den Dschungel der Neuveröffentlichungen und Bands ?

O.H.: Wenn du selbst eine größere Musikzeitschrift aufschlägst gibt es nur Kultgruppen und hitverdächtige Bands - von denen du in zwei Jahren allerdings nichts mehr hörst. Wir sind nach der zweiten CD "Der Traum an die Errinnerung" schon für tot erklärt worden und uns gibt es immer noch. Und warum ? Weil wir neben einem Heer von Kritikern sehr viele treue Fans haben. Und die Fans sind tausendmal wichtiger als tausend Schreiberlinge.

Gilt das für den ganzen Musikjournnalismus ?

O.H.: Es gibt natürlich auch ein paar, die ihr Können in die Sache investieren. Ich habe nichts gegen Kritik, da sie einem auch weiterhelfen kann. Zwischen Polemik und Kritik gibt es einen ganz großen Unterschied und die meisten Kritiken über Goethes Erben sind einfach verletzende polemische Pamphlete.

"Ihr Götter, die ihr sucht nach Freiern, nehmt euch in acht, beschämt euch nicht"
Benehmen sich eurer Meinung nach die Götter wie Huren ?


O.H.: Was ich dazu meine steht im Text ... Diese Zeile stammt aus "Begrüßende Worte", indem es um Gier geht, also um die Reduktion der Existenz des Menschen auf die Befriedigung seiner Bedürfnisse - Gier nach Macht, Gier nach Sex, Gier nach Geld, Gier nach Fleisch, Gier nach Allem ... . Ich finde, daß Götter schon immer mißbraucht wurden. Auch die katholische Kirche mißbraucht Gott - mittlerweile nicht mehr ganz so krass wie früher, denn heutzutage sind Menschenopfer wohl etwas seltener geworden.

Dieses Stück endet mit der Feststellung, daß wir alle auf die Zeichen warten, die uns versichern "Wir sind ein Teil der Ewigkeit". Wer ist mit wir gemeint? Die Menschheit, Goethes Erben ... ?

O.H.: Ich glaube, daß wir ein Teil der Ewigkeit sind. Goethes Erben oder die Menschheit? Das kann man so auslegen wie man will ... Ich glaube, um ein Teil der Ewigkeit zu werden, muß man etwas schaffen, was über den Tod hinaus bestehen bleibt. Dies sollte auch das Ziel jeder künstlerischen Arbeit sein. Bewirke etwas, daß sich der Dimension Zeit entzieht.

Woher kommt dieser Ansatz euphorischen Größenwahns ?

O.H.: Wieso Ansatz ? Diese Platte ist durchzogen von Größenwahn. Wir haben eine Produktion gemacht, die wir uns eigentlich nicht leisten können. Wir haben mit einem Produzenten zusammengearbeitet, den wir uns eigentlich nicht leisten können und wir haben ein größenwahnsinniges Bild im Booklet, auf dem wir schöner aussehen, als wir in natura sind ...

Beschreib mal ...

O.H.: Ja, wir sind nackt zu sehen, allerdings ist das Ganze noch jugendfrei ...

M.K.: Nur in Amerika werden wir wohl unsere Schwierigkeiten damit haben.

O.H.: Na gut, dann machen wir es etwas dunkler ...

"Schach ist nicht das Leben" kommt also in Amerika raus ? Nehmt ihr dafür eine englische Version des Albums auf ?

O.H.: Goethes Erben ist ein deutschsprachiges Musiktheater. Lediglich die Texte werden erstmals in Deutsch und Englisch im Booklet zu finden sein ...

... die bestimmt auch selbst übersetzt habt, schließlich ist Mindy ja Amerikanerin...

M.K.: ... und ich traue niemandem diesbezüglich über den Weg. Oswalds Texte zu übersetzen ist ziemlich schwierig und das ist wohl allgemein mit Lyrik so.

Aber wenn ihr ausgerechnet mit deutschsprachiger Lyrik in Amerika landen wollt, seit ihr wirklich größenwahnsinnig.

O.H.: Ja, das nennt man auch Entwicklung. Entweder man geht unter in diesem Business oder man wird größenwahnsinnig. Ohne Wahnsinn und einer Portion Unverschämtheit kannst du dich nicht durchsetzen.

Ich habe irgendwo gelesen, daß wir in einer Renaissance des Größenwahns leben.

O.H.: Oh, dann würden wir ja das erste mal den Zeitgeist treffen und Popstars werden. Doch dafür geht das bei uns wohl in eine falsche Richtung. Ich halte "Schach ist nicht das Leben" nicht für größenwahnsinnig, wohl aber das Unternehmen Goethes Erben.

Und wie wollt ihr das in die Charts kommen ?

O.H.: Ja da gibt es wohl verschiedene Möglichkeiten. In erster Linie braucht man eine umfangreiche Presse. Und bei dieser zählt der Schein mehr als die Wahrheit.

Man muß Informationen liefern, die sich verkaufen lassen und dem Zeitgeist entsprechen ... .

O.H.: ... indem man z.B. Kirchen anzündet oder jemanden um ... Aber wir machen so etwas ja nicht, wir erzählen einfach ein Märchen, was dem Umgang mit der Presse aber auch ziemlich nahekommt ... Also, wir haben "Begrüßende Worte" in einem Luftschutzbunker in Beirut aufgenommen ... und mußten ziemlich lange auf irgendwelchen Kisten Modell stehen ...

... um die erotische Komponente mit einem Bild zu unterstreichen ? Die CD hätte doch gereicht, ist sie doch auch geprägt von narzistischer Erotik.

O.H.: Sex.

M.K.: Jetzt hat er es entdeckt ...

O.H.: ... obwohl wir das Wort f****n nicht ein einziges Mal in den Mund nehmen....

M.K.: Erotisch wohl auch deshalb, weil die Musik lebt ...

O.H.: ... wenn etwas lebt, ist Erotik drin. Wir sind jedoch nicht pornographisch und wollen auch nicht auf irgendeine SM-Schiene aufspringen. Das ist alles zu plakativ. Bei uns geht es um die Phantasieseite von Irgendetwas. Es wird mehr geredet als agiert. Das agieren überlassen wir den Hörern.

... Oh ja, am besten bei "Begrüßende Worte"

O.H.: ... genau. Bei Konzerten werden da sicher einige Frauen zu meinen Opfern ...

Das Stück ja auch so etwas wie ein musikalischer Orgasmus ...

O.H.: ... ein ziemlich langer ...

Seit ihr jetzt kommerziell geworden ?

O.H.: Nein, ich finde "Schach ist nicht das Leben" nicht kommerziell, schon allein wegen der Tatsache, daß es mit nackter Sprache anfängt und aufhört. Wem das Album zu gefällig ist, der soll sich doch den Vorgänger , das Blaue Album kaufen.

"Nur ein Freund" ist sehr fröhlich - und eines der ersten Goethes Erben Stücke, wo dies nicht ironisch gemeint ist. Wer ist auf die Idee gekommen, diese Melodie zu pfeifen ?

M.K.: Unser Tontechniker. Er ist nicht auf die Idee gekommen, sondern hat es einfach getan und wurde dabei ziemlich spontan aufgenommen. Ich finde, daß die Melodien nach wie vor zu uns passen. "Schach ist nicht das Leben" ist ein typisches Erben - Album und überhaupt war es ein sehr schönes Gefühl mit einer Liveband zu arbeiten.

O.H.: ... ohne auf Elektronik angewiesen zu sein. Obwohl wir noch nie mit einem DAT-Recorder auftraten, waren wir doch technikfixiert und konnten gewisse Sachen nicht machen, wie ein Stück auszudehnen, improvisieren usw. "Begrüßende Worte" war gar nicht so lange geplant. Ich bin im Studio zu Markus, unserem Schlagzeuger gerannt und schaute ihn kurz an. Die anderen im Studio wußten überhaupt nicht was los war und mußten plötzlich weiterspielen.

Das Album endet mit den Worten "Was war ist ein Gewinn für die Vergangenheit" und so provoziert ihre Frage: Ist "Schach ist nicht das Leben" die letzte Erbenplatte ?

O.H.: Wer kennt die Zukunft ... und man wird ja auch älter ... . Wenn das Album die Mindesterwartungen nicht erfüllt, und das sind eben die Top Ten, dann könnte es das letzte gewesen sein. Wir hatten das erste mal die Möglichkeiten, so zu arbeiten, wie wir wollten. Uns ist es endlich allumfassend gelungen, die Energie und die Emotionen, die Goethes Erben verkörpern, auf CD zu bannen. Dafür hat die neue Erben-Scheibe eben mehr gekostet als alle früheren Erbenproduktionen zusammen.

Dafür ist die Idee Goethes Erben wieder einmal eigene Wege gegangen - vorbei an allen Erwartungen. Doch was erwartet man eigentlich von einer Gruppe, die so unverkennbar wie facettenreich alle thematischen und musikalischen Tabus brach ?
Goethes Erben "Schach ist nicht das Leben" - Ein Mensch auf der Suche nach Farben, zelebriert von Künstlern, die nicht aufhören zu suchen und die genau wissen, was sie tun. Ich bedanke mich für das Interview.



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